Der musikalische Höhepunkt des 50-jährigen Jubiläums von Vox Musica steht unmittelbar bevor. Am kommenden Wochenende, 28./29. September, wird der Chor unter Leitung von Christoph Dombrowski die Chorsinfonie "Bilder unseres Lebens" von Thomas Gabriel uraufführen. Tobias Schwab hat mit ihm über das Konzept der Komposition, die Botschaft des Werkes und seine Beziehung zu Vox Musica gesprochen.
FRAGE
Thomas, Vox Musica feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen. Was kommt Dir da in den Sinn?
THOMAS
In dieser bunten und vitalen Vereinswelt in Seligenstadt spielt Vox Musica für mich eine besondere Rolle. Ich habe den Chor immer bewundert. In lebendiger Erinnerung sind mir zum Beispiel die Aufführungen von „Jesus Christ Superstar“ in St. Marien, die ich 2004 gleich zu Beginn meiner Zeit in Seligenstadt erlebt habe. Das war unter der Regie von Claus Martin eine schwer beeindruckende Inszenierung!
FRAGE
Was fasziniert Dich besonders an diesem Chor?
THOMAS
Vox Musica schafft es immer wieder, mit seinen Projekten unter Leitung von Christoph Dombrowski Vokalmusik auf einem hohen Niveau zu bieten, aber auch Gesamtkunstwerke zu schaffen, wenn wir an die schauspielerischen Leistungen denken, an die Bühnenbilder und Kostüme. Da kommen so viele Begabungen, Talente und Engagement zusammen. Das finde ich großartig.
FRAGE
Du hast bereits mehrere Werke für den Chor verfasst. Jetzt hat der Vorstand von Vox Musica anlässlich des 50-jährigen Bestehens die Jubiläumskomposition „Bilder unseres Lebens“ bei Dir in Auftrag gegeben. Wie muss man sich das vorstellen? Heißt es da: „Schreib uns mal was Schönes“ – und Du legst dann mal los?
THOMAS
Nein – das ist schon ein gemeinsames Projekt, das ich mit einem kleineren Kreis aus dem Vorstand und Chorleiter Christoph Dombrowski entwickelt habe. Zu einem großen Jubiläum ist ja vieles denkbar: eine Revue aus Programmen der Chorgeschichte oder ein Werk, das die Musikstilistiken der vergangenen fünf Jahrzehnte wie Schlager, Rock und Pop aufgreift. Aber das wollten wir nicht.
FRAGE
Welche Idee war stattdessen leitend?
THOMAS
Es sollte schon um eine Rückschau gehen, aber wir wollten auch formal etwas Originelles schaffen. Mir kam dann die Struktur von „Bilder einer Ausstellung“ von Modest Mussorgski in den Sinn, ein Klavierzyklus, dessen bekannteste Orchesterbearbeitung von Maurice Ravel stammt. Die einzelnen Sätze beschreiben Gemälde von Viktor Hartmann, die Mussorgski auf einer Gedächtnisausstellung gesehen hatte.
FRAGE
Warum eignet sich dieses Konzept für die Jubiläumskomposition von Vox Musica?
THOMAS
Es bietet die Chance, in den Bildern wie bei Mussorgski die unterschiedlichsten Themen aufzugreifen, verbunden durch eine „Promenade“, eine musikalische Überleitung, die den Eindruck eines Rundgangs durch eine Ausstellung vermittelt.
FRAGE
Welche „Bilder“ sind es in Deinem Werk?
THOMAS
Da spielt die Weltpolitik eine Rolle, aber auch prägende Erfahrungen der lokalen Lebenswelt. Dafür haben wir uns gemeinsam entschieden.
FRAGEN
Frieden, Fastnacht, Black lives matter, Heimat – um nur ein paar Titel zu nennen, der Bogen könnte in der Tat größer nicht gespannt werden …
THOMAS
Ja, eine spannungsvolle Sammlung, herausfordernd, vielleicht auch irritierend wie das wahre Leben. Das spiegelt sich in den Stücken.
FRAGE
Ein Bild greift auch die Wutrede „How dare you?“ auf, die Greta Thunberg 2019 vor der UN-Klimakonferenz in New York gehalten hat. Das hat auch im Chor zu Debatten geführt.
THOMAS
Ja, Greta Thunberg polarisiert – vor allem auch wegen ihrer einseitigen pro-palästinensischen Statements im Zusammenhang mit dem Krieg in Israel und Gaza. Das Thema „How dare you?“ hatten wir vor Beginn des Krieges schon gesetzt. Die kritikwürdigen Äußerungen von Greta Thunberg machen ihr kompromissloses Engagement für den Klimaschutz aber nicht falsch oder wertlos. Ich finde sie noch immer faszinierend.
FRAGE
Kannst Du das näher erklären?
THOMAS
Weil Greta Thunberg uns aus der Perspektive der Kinder dieser Welt den Spiegel vorhält. Und uns sagt, dass es so nicht weitergehen kann. Wer eigene Kinder und Enkelkinder hat, den muss das im Blick auf ihre Zukunft treffen und herausfordern. Die Kampfansage aus dem Kinderzimmer, um es mal so zu nennen, stellt vieles in Frage. Damit müssen wir uns auseinandersetzen.
FRAGE
Zumindest zwei der „Bilder“ sind Kirchenmusik, unverwechselbar Thomas Gabriel!
THOMAS
Das ist meine religiöse Prägung, ich nehme die Welt durch diese Brille wahr. Wenn es um den sozialen Zusammenhalt und das Politische geht, haben uns Werte und Haltungen, die zum Beispiel durch die Zehn Gebote definiert werden, auch heute viel zu sagen. Im Moment nehme ich sehr deutlich wahr, dass wir uns auf ethische Prinzipien und universelle Werte wieder viel stärker beziehen sollten.
FRAGE
Der Chor wird von Orchester und Band begleitet, insgesamt 25 Musikerinnen und Musiker. Was erwartet das Publikum da?
THOMAS
Vox Musica geht zu seinem 50-jährigen Jubiläum richtig in die Vollen. Das große Orchester mit Streichern, Holz- und Blechbläsern, dazu die Band bieten die Möglichkeit, die ganze Palette von Klangfarben zu nutzen und die unterschiedlichsten Stimmungen zu erzeugen. Ich kann da musikalisch sehr viel darstellen. Es wird jedenfalls sehr bunt: von geistlicher Musik über Gospel und Swing bis hin zu Fastnachtsschlagern. Und es wird auch feierlich erhebend. Ich denke da an das Bild „Feuerwerk“, das vor Lebensfreude und Hoffnung sprüht.
FRAGE
Wie geht das eigentlich mit dem Komponieren? Wartest Du da auf den Moment der Inspiration oder ist es eher ein von Disziplin geprägter handwerklicher Prozess?
THOMAS
Am Anfang steht die Inspiration. Die Ideen kommen mir tatsächlich auch nachts oder am sehr frühen Morgen. Ich kann am besten arbeiten, bevor der Tag so richtig erwacht. Und wenn der erste Funke wirklich gut ist, dann wird er am Klavier oder PC kunsthandwerkmäßig zu einem Flächenbrand entwickelt. Woher der Funke letztlich kommt, das weiß ich nicht. Ich würde sagen, das ist göttlich.
FRAGE
Zu „Bilder unseres Lebens“ hast Du auch das Libretto geschrieben. Denkst Du beim Texten die Musik schon immer gleich mit?
THOMAS
Das geschieht tatsächlich unabhängig voneinander. Erst brauche ich einen Text, dann schaue ich, was er mir zu bieten hat. Eine gewisse Sperrigkeit, Ecken und Kanten sind von Vorteil. Das zwingt zu kreativen musikalischen Lösungen und inspiriert mich eher als glatt geschliffene, runde Texte. Ein gutes Beispiel ist die Rede von Greta Thunberg, aus der ich zitiere. Die ist ja nicht dafür geschrieben worden, vertont zu werden. Das finde ich dann besonders spannend und herausfordernd.
FRAGE
Wenn Du auf die ganze Sammlung der „Bilder unseres Lebens“ schaust – mit welcher Wirkung rechnest Du?
THOMAS
Es ist wie in einer Ausstellung, in der mich einzelne Bilder stärker ansprechen als andere, vor denen ich länger verharre, die nachwirken, weil sie mir zu denken geben. Andere finde ich vielleicht einfach nur schön, wieder andere polarisieren – zum Teil auch im Chor. Es sind jedenfalls Themen, die uns in den vergangenen fünf Jahrzehnten bewegt haben und uns heute noch beschäftigen. Die Spannung, die unterschiedlichen Standpunkte und Sichtweisen gilt es auszuhalten. Am Ende kommt es darauf an, das Verbindende zu entdecken, zu sehen, was wir im Chor, in der Stadt, in unserem Land und in der Welt gemeinsam haben! Das wäre ein wichtiger Impuls dieses Werkes.
FRAGE
Du bist auch bei diesem Projekt wieder Teil der Uraufführung und spielst das E-Piano. Wie geht’s Dir damit?
THOMAS
Das ist natürlich eine komplett andere Rolle, wenn ich einer von 25 Musikerinnen und Musikern bin. Dann werde ich meinen Part spielen, die Klappe halten, mich komplett auf Christoph Dombrowski als musikalischen Leiter verlassen – und genießen. Ich freue mich sehr auf den 28./29. September. Es wird mit Vox Musica großartig werden!
Foto: Petra Welzbacher
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